Vor vier Jahren. Irgendwo in Mittel­deutsch­land. Ich hocke mit 32 anderen Männern in einer selbst­ge­bauten Hütte. Und schwitze. Wir sind vor ein paar Stunden schnecken­förmig in den dunklen Raum gekro­chen. Und jetzt hocken wir da. Knie an Knie. Und kämpfen. Gegen die Hitze. Und gegen die Enge. Mein Kopf droht zu explo­dieren. Wie in einer finni­schen Sauna. Mit dem kleinen, grossen Unter­schied, dass ich in einer Sauna raus kann. Wann immer ich will. Hier kann ich nicht raus. Denn hier geht es darum, ein Mann zu sein. Und Dunkel­heit, Enge und Hitze auszuhalten.

Zum Glück sitze ich ganz hinten bei der Zelt­wand. Und kann bescheissen. Und das tue ich. Nicht zu knapp: Ich schiebe meine Hand regel­mässig unter der Zelt­wand nach draussen, damit ein Hauch kühle Luft an meinen Rücken strömen kann. Schwitz­hütte als Über­le­bens­kampf. Da bleibt weder Raum noch Zeit für etwas anderes. Als wir die Hütte endlich verlassen dürfen, werden wir mit Kräu­t­er­wasser geduscht. Ein fanta­sti­sches Erlebnis! Trotzdem bleibt ein schaler Nach­ge­schmack: Es war schön. Aber doch nicht das, was ich mir unter der viel geprie­senen Schwitz­hütte vorge­stellt habe.

Auf dem Weg zur Erleuchtung

Zwei Jahre später im Schwarz­wald. Der nächste Versuch. Die Ankün­di­gung: «Eine Schwitz­hütte mit einem echten Scha­manen!» Ich weiss zwar nicht, was ein «echter Scha­mane» ist. Und warum die «echten Scha­manen» in unseren Brei­ten­graden gerade wie Pilze aus dem Boden schiessen. Aber die Ausschrei­bung hat mich ange­spro­chen. Eine scha­ma­ni­sche Schwitz­hütte scheint mir noch­mals etwas ganz anderes zu sein, als ein Über­le­bens­trai­ning unter harten Männern – und solchen, die es werden wollten.

Die Hütte ist gross; die Anzahl der Teil­neh­me­rinnen und Teil­nehmer über­schaubar. Das ist schon mal gut. Und entspannt mich. Der «echte Scha­mane» macht das richtig gut. Bevor wir in die Schwitz­hütte dürfen, schickt er uns in den Wald, damit wir ein wenig Distanz zum Alltag bekommen und uns vor lauter Vorfreude auf das, was da kommt, nicht die Ohren voll­labern. Die Zere­monie ist schön und das anschlies­sende Bad im Weiher ein unver­gess­li­ches Erlebnis. Doch richtig glück­lich werde ich auch diesmal nicht. In der gemischten Gruppe sind einige dabei, die schon «viele spiri­tu­elle Erfah­rungen gemacht haben». Dementspre­chend machen sie sich mit verklärtem Blick und einem Mantra auf den Lippen auf den Weg in die Hütte – felsen­fest davon über­zeugt, dass sie der Erleuch­tung jetzt einen weiteren Schritt näher kommen und die Hütte als Engel­wesen verlassen werden. Mir wird wieder einmal bewusst, warum ich im Zen meine Heimat gefunden hab. Dort macht man nämlich kein «Gschiss». Um nichts und niemanden. Und am aller­we­nig­sten um Zen.

Manuela Krah

Dann tritt Manuela Krah in mein Leben. Und das erst noch ganz anders, als man das von einer Ener­gie­t­he­ra­peutin erwarten dürfte: hoch­tech­nisch. Via Zoom. Und nicht bei einer zufäl­ligen Begeg­nung auf einer Lich­tung im Wald. Was durchaus im Bereich des mögli­chen gewesen wäre. Denn Manuela Krah legt am Rhein regel­mässig Mandalas. Manuela ortet über die Kamera schlechte Ener­gien in meinem Rücken. Und räuchert wenige Tage später mein Büro. Hätte mir das jemand vor zehn Jahren prophe­zeit, ich hätte ihn (oder sie) für verrückt erklärt.

Wenig später thera­piere ich mich durch Manuelas Angebot: Ener­gie­be­hand­lungen, Herz­trom­meln, Klang­mas­sagen. Ich liebe Ener­gie­be­hand­lungen über alles. Und habe schon die verschie­den­sten Thera­peu­tinnen und Thera­peuten erlebt. Manuela Krah ist anders. Nur schon, weil sie sich so gut wie allen Konven­tionen verwei­gert. Die meisten Thera­peu­tinnen und Thera­peuten behan­deln ihre Klienten auf einer Liege. Bei Manuela Krah liege ich am Boden. Und weiss nicht, ob ich das jetzt gut oder weniger gut finden soll. Die Behand­lungen und ihre Wirkung sind auf jeden Fall gut. Sehr gut sogar.

Baum­kom­mu­ni­ka­tion für Anfänger

Manuela bringt es fertig, dass ich Dinge tue, die sogar mich aus der Komfort­zone locken. Obwohl ich schon eine Menge «verrückter Dinge» getan hab. Dazu gehört zum Beispiel Wald­baden. Wobei es bei ihr ‑selbst­ver­ständ­lich!- anders heisst: Baum­kom­mu­ni­ka­tion.

Bleibt am Schluss nur noch die Schwitz­hütte übrig. Ich sage zu, obwohl ich mit dem Thema «Schwitz­hütte» eigent­lich abge­schlossen habe – und statt­dessen ganz prag­ma­tisch alle 14 Tage in die Sauna gehe.

Als ich mich mit Sack und Pack dem Schwitz­hüt­ten­platz nähere, bin ich baff: Der Platz ist wunder­schön. Und mit Blumen, Kerzen und Steinen liebe­voll herge­richtet. Die Stim­mung ist gut und über­haupt nicht aufge­kratzt. Die Leute sind nett und kein biss­chen durch­ge­knallter als ich. Das Schwitz­hütten-Ritual beginnt mit einer kleinen Vorbe­rei­tungs­runde. Ich begehe den Fehler, Manuela zu fragen, wie lange die Zere­monie dauern wird. Als Mann hat man ja gerne ein paar Fakten, «an die man sich halten kann». Ich hätte es wissen müssen: Manuela «fest­zu­na­geln», ist ein Ding der Unmög­lich­keit. Sie entscheidet immer und überall aus dem Moment heraus. Wobei ich hier fairer­weise anfügen muss, dass ihre Schwitz­hütten-Events jedes Mal pünkt­lich enden – egal, wie lange das eigent­liche Schwitzen dauert.

Liegen statt sitzen – Manuela sei Dank

Wie bei allen Schwitz­hütten-Zere­mo­nien, an denen ich bisher teil­ge­nommen habe, werden wir von Manuela vor dem Betreten der Hütte geräu­chert. Drinnen ist es dunkel und feucht. Wie immer. Mit meinen kaputten Knien fällt mir das Sitzen schwer. Bei Manuela darf ich liegen. Auch wenn das vermut­lich nicht so schön und so würde­voll aussieht, wie wenn ich im Yoga-Sitz und mit durch­ge­strecktem Rücken auf die glühenden Steine blicken würde. Und dann geht es auch schon los: Manuela bestellt mal 17, mal 4 und mal 28 Steine, die von ihrer Assi­stentin mit einer Gabel in die Hütte geschoben werden. Silvia, die Co-Orga­ni­sa­torin der Schwitz­hütten-Events, schiebt die Steine mit Engels­ge­duld an ihren Bestim­mungsort. Manuela giesst Wasser über die Steine. Und lässt im Anschluss daran die Kräuter auf den Steinen verglühen.

Ich bekomme das nur am Rand mit. Denn ich bin da. Und doch nicht da: Ich gleite irgendwo zwischen Himmel und Erde durch Raum und Zeit. Erst als mich Manuela auffor­dert, selbst Kräuter ins Feuer zu werfen, mache ich eine kleine Zwischen­lan­dung. Wenig später kündigt sie auch schon die letzte Runde an. Was jetzt? Wie jetzt? Wir haben doch gerade erst ange­fangen! Ich könnte stun­den­lang liegen­bleiben und diese warme, duftende Wolke geniessen. Das kurze Bad im kalten Bach kata­pul­tiert mich dann aber in Rekord­zeit zurück ins hier und jetzt.

Stufe zwei: die Schweigehütte

Nach diesem Tag ist für mich klar: Eine Schwitz­hütte pro Jahr muss sein! Aber gerne in einer etwas anderen Form. Denn das Repe­ti­tive ist nicht so mein Ding. Das schätze ich auch am Feuer­laufen: Einmal ist es ein buddhi­sti­sches Ritual, bei dem ich 108-mal über ein kurzes Stück glühende Kohlen gehe. Ein anderes Mal liegen zwölf lange Meter vor mir.

Als das Mail von Manuela mit der Einla­dung zu einer «ganz beson­deren Schwitz­hütte» in meiner Inbox liegt, ist für mich deshalb auf der Stelle klar: Da muss ich hin!

Am Schwitz­hütten-Tag regnet es in Strömen. Auf dem Weg zur Hütte sinke ich bei jedem Schritt minde­stens zehn Zenti­meter ein. Der Platz ist ‑gelinde gesagt- matschig. Später, beim Aufräumen, frage ich mich: Warum tun sich Manuela und Silvia das bloss an? Ich brauche vier Stunden, um mein Auto, meine Kleider und meinen Ruck­sack eini­ger­massen sauber zu bekommen. Wie muss es da wohl Manuela und Silvia ergehen? Sie haben zwei Autos, die bis unter die Decke mit Decken, Kani­stern und Kerzen gefüllt sind. Und überall, wirk­lich überall, klebt Schlamm.

Habe ich was zu sagen?

Die Schwitz­hütte fühlt sich vertraut an. Und ich habe sogar noch etwas mehr Platz als beim ersten Mal. Dafür reizen mich die Kräuter von Manuela diesmal deut­lich mehr: Ich huste wie ein Welt­mei­ster. Was natür­lich eine tiefere Bedeu­tung und einen tieferen Sinn hat. Meint Manuela. Sie fragt mich, was ich der Gruppe sagen möchte. Ich? Etwas sagen? Sicher nicht! Schliess­lich ist es eine Schwei­ge­hütte. Später spreche ich dann doch noch. Mit mir allein. Es ist ein sehr langes, sehr persön­li­ches und sehr aufschluss­rei­ches Gespräch.

Auch diesmal bin ich enttäuscht, als Manuela die letzte Runde ankün­digt. Es ist doch grad so schön! Ich geniesse die Dunkel­heit, die Wärme und sogar die Enge. Jeder einzelne Aufguss ist eine kleine Heraus­for­de­rung. Aber eben nur eine kleine – genau richtig, um ein wenig aus der Komfort­zone zu kommen. Und trotzdem nicht panik­artig in den Über­le­bens­modus zu geraten.

Die perfekte Schwitzhütte

Mit Feed­back­runden kann ich in der Regel wenig bis gar nichts anfangen. Vor allem, wenn die Teilnehmer:innen stun­den­lang über etwas erzählen, das effektiv nur ein paar Minuten gedauert hat. Auch in diesem Punkt ist bei Manuela vieles anders: Niemand hebt ab. Und niemand textet die anderen zu. Alle machen kurze, stim­mige Aussagen zu dem, was sie in der Hütte erlebt haben. Und das war offenbar bei der einen und dem anderen eine ganze Menge.

Ich fühle mich nicht erleuchtet. Und ich hatte kein «spiri­tu­elles Erlebnis». Aber ich habe einen wunder­schönen Adventstag im Kreis von netten Menschen verbracht. Und dafür hat sich die Reise ins Reppischtal mehr als gelohnt.

S.W. (m)

Frau tanzt barfuss auf einer Wiese.